Der unbeirrt kämpfende Aristokrat und die bußfertigen Verkehrsmassen

Im ersten Teil dieser Reihe hatte ich bereits auf einen Gedanken verwiesen, den ich heute zu einer wichtigen Sonderbetrachtung ausweiten möchte: Wie geht es zusammen, daß aristokratische Gesinnung, die doch eigentlich nur zum Höheren strebt und der im Zweifel das Rumgekrebse in den niederen Gefilden herzlich egal sein kann, zum zumindest scheinbar rücksichtsvollen, ja sozialen Verhalten neige, wie ich behauptet habe, das in einer Selbstbeschränkung enden soll, die der oberflächliche Betrachter als so rein gar nicht aristokratisch ansehen mag. Also: Der Aristokrat kämpft sich doch den Weg einfach rücksichtslos frei, statt an jeder Ecke auf herumtölpende Bauern Rücksicht zu nehmen! Oder doch nicht?

Man muß sich ernstlich fragen, warum dieser aristokratische Herrenfahrer sich um Wohl und Wehe derer, die sich am Straßenrand befinden, kümmern sollte. Aber das ist der große Unterschied zwischen einer unsozial aristokratischen Welt, die eigentlich nur unter den primitivsten Völkern vorkommt, und einer bürgerlich-aristokratischen. Diese auf Leistung, aber allgemeine Gleichberechtigung zumindest in Wirtschafts- und Alltagsfragen basierenden Gesellschaften waren es ja auch, die im Gegensatz zu den südischen, archaischen Aristokratien um Längen kreativer waren und auch die höhere Ästhetik hervorbrachten. Eben weil sie aus der Breite der Gesellschaft ihre Fähigen schöpfte, wo Bauernsöhne Schriftsteller und Handwerksburschen Ingenieure werden konnten.

Dem Bauernsohn im Zweifel das humanistische Gymnasium nicht vorzuenthalten, ist ein Gedanke, der mit dem Herrenfahrer, der rücksichtslos durch die Dörfer brettert, einfach nicht vereinbar sein kann. Dieser bürgerliche Respekt, ein höchstes Gut der Kultur, ist auch letztlich der einzige Garant für eine pädagogische Kulturwirkung auf das ganze Volk und auf alle Lebensbereiche. — So viel zur Rücksicht.

Aber freilich bleibt eines immer bestehen: Dieser Respekt wird unmittelbar aufgehoben, sobald ein Bruch der Zivilisiertheit von irgend einem Mitglied ausgeht. Dieser Bruch muß mit rohen Mitteln, im Zweifel mit dem Faustrecht und allen Instrumenten der Not- und Gegenwehr beantwortet werden. Das ist überhaupt keine Frage. Im Falle des Straßenverkehrs sind aber Sie, der Autofahrer, es, der die Unzivilisiertheit einführt. Sie reagieren nicht auf einen Unflätigen, der am Straßenrand steht. Mithin ist dieser Fall hier nicht anzuwenden, wenngleich wir ihn ebenfalls noch zu betrachten haben werden.

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Aber kehren wir konkreter zu eben diesem Straßenwesen zurück. Als 1934 die Geschwindigkeitsbegrenzungen generell aufgehoben wurden, da galt drgl. auch für die Ortsdurchfahrten. Man hätte also bis ins Jahr 1957 durch Ortschaften auch 120 fahren können (mit Ausnahme des Krieges). Mancher wird sagen: Das ist Aristokratie! Die wenigen Auserwählten, die ein Auto besitzen, sind nur Gott (und am liebsten nicht einmal dem) Rechenschaft schuldig! Freie Fahrt für freie Bürger!

Doch eine historische Überlieferung, die wir durch Zufall besitzen, macht diesem Gedanken einen ungeheuren Strich durch die Rechnung. Denn genau der Kanzler, unter dessen Ägide die Geschwindigkeitsbegrenzungen komplett abgeschafft wurden, wies – lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen! – seinen Fahrer an, durch Orte nicht schneller als 40 Stundenkilometer zu fahren. Wie kann das sein? Was war da los, mag sich der Krawallfahrer da fragen.

Was erlaubt ist, ist eben bei weitem noch nicht sittlich, meine Damen und Herren. Die Sittlichkeit, der Anstand erfordert diese Einschränkung. Und nun rattert es und rattert es in so manchem Köpfchen… und ich gebe Ihnen die Antwort, die Sie suchen: So beschäftigt können Sie gar nicht sein, so wenig Zeit können Sie gar nicht haben, daß Sie schneller fahren müssen, als ein Kanzler freiwillig hat fahren lassen! Und nein, der Mann konnte nebenher sicher auch nicht arbeiten.

Was aber diese Diskrepanz überdeutlich zeigt: Ja, die freie Fahrt ist selbstverständlich aristokratisch. Warum sollte sich ein hoher Mensch unter allgemeine Gesetze drücken lassen? Doch gerade diese seine Freiheit, alles zu tun, beschränkt er sich freiwillig aus der Vernunft sinnvoller Abwägung von Wirkung und Ertrag. Nicht alles, was man kann, muß man auch tun. Man muß nur, wenn man will. Aber der vernünftige Wille sieht keinen Grund, während der ständig unter Minderwertigkeitskomplexen leidende Durchschnittsmensch kein Können besitzen kann, das er nicht auch immerzu zeigen und beweisen muß.

Natürlich kann es im Zweifel einmal nötig sein, daß schnell gefahren werden muß. Das wird durch derart liberale Gesetze auch legal zulässig. Allein das Sklavenvolk muß generell durch Gesetze eingeschränkt werden, weil es in seiner Unfähigkeit, diese Ausnahme wirklich realistisch abzuschätzen, von dem eingeräumten Recht einfach dauerhaft und rücksichtslos Gebrauch macht. Das ist eine Tatsache, die wir jeden Tag auf unseren Straßen sehen. Eben weil es sich doch um ein Sklavenvolk handelt. Die einzige Begrenzung stellt hier der Spritverbrauch dar, den sich der eine oder andere dann doch aus seinem Pekulium nicht leisten mag.

Eine echte innere Selbstbeschränkung gibt es keineswegs. Die findet man ausschließlich bei den wenigen aristokratischen Geistern, die bei jenem Sklavenwahnsinn gar nicht anzutreffen sind. Für diese gilt jene abwägende Rücksicht als selbstverständlich und muß nicht deshalb nicht allgemein beschränkt werden, weil sie das allgemeine Recht hätten, alles zu tun, sondern weil durch ihre Selbstbeschränkung die Gesetzesbeschränkung bis auf die allerseltensten Ausnahmen überflüssig wird. Sie handeln, könnte man sagen, aus eigenem Antrieb sozialverträglich. Das ist echte Aristokratie.

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Wie im Falle des Ehrenmannes ist diese Zuvorkommenheit, die jeder zivilisierte Mensch erbringen muß, also keineswegs Ausdruck eines Befriedungswahns oder einer Unfähigkeit zum Streit – wie ich im Eingangsvortrag zur Ehrenmann-Reihe weidlich ausgeführt habe – sondern nur der Modus des Friedens, der zur Zivilisiertheit untrennbar gehört. Daß dieser Friedenszustand selbstverständlich zerfallen kann und dann im Streit gehandelt wird, ist eine ganz andere Frage. Aber der hohe Kulturzustand eines friedlichen Pomeriums (Kultur und Ingenium), in welchem das Höchste gedeihen kann, ist nun einmal durch die Unnötigkeit von Zwangsregeln und dem selbstverständlichen Benehmen jedes Einzelnen die Grundlage aller großzügigen Bereitstellung enormer Reserven, die sonst in die Alltagsverteidigung fließen, hier aber in das Fortkommen einer Hochkultur eingehen und sie damit so ungeheuer befruchten.

Ihm steht der Modus des Streites (und im allgemeinen Streitfall: des Krieges) gegenüber. Aber eine Gesellschaft, die fähig ist, Krieg zu führen, ist deswegen nicht minder fähig, zivilisiert zu sein. Ja, man könnte sogar sagen: Eine Gesellschaft, die den Streit in geordneten Bahnen austragen kann, also über einen gesonderten Kriegszustand verfügt (ob nun im Kleinen das Duell oder im Großen den Kriegszustand der Staaten), wird von höherer Kultur geprägt sein als eine Gesellschaft, die je nach Laune einmal wieder in Kriminalitätsschübe und bürgerkriegsähnliche Zustände abdriftet, wo also die Ruhe der Zivilisation nie die Muse beflügeln kann.

Ja, sogar im Krieg ist höchste Ruhe. Nämlich in der Heimat. Dort ist der höchste Gegenzustand des Krieges sogar von elementarer Bedeutung, da hier die Kraft für den äußeren Kampf geschöpft werden muß. Und zugleich ist es dieser Friede, für den ja überhaupt nur Krieg geführt wird. Denn letztlich ist das Ziel jedes Krieges ja bloß die hochproduktive Ruhe in einem anderen Friedenszustand, für dessen höheres Niveau allerdings gefochten wird.

Es gibt also neben dem Kriegszustand den zivilisierten Modus, in welchem der Anstand und die gute Sitte den Alltag bestimmen. Hier würde selbstredend niemand zur Waffe greifen. Das heißt aber nicht, daß dieselben Menschen in einem Kriegszustand das gleiche täten. Dann selbstverständlich. Aber im zivilisierten Alltag gibt es nichts absurderes, als dieses Kampfesdenken an den Tag zu legen. Die Kultur ist gerade Ausdruck dessen, daß man sich solcher Mittel im Alltag nicht bedienen muß.

Daß dieser Alltag aber durch eine kriegerische Aggressivität, die in ihn eingetragen wird, selbst verroht und damit Zivilisation als Ganzes nicht mehr möglich ist, das ist der Vorgang, den wir im Verfall unserer Kultur seit vielen Jahrzehnten vor uns sich entfalten sehen. Und freilich ist es ein leichtes, in diese zivilisierte Welt plötzlich die Aggressivität zu tragen und damit einen persönlichen Vorteil zu erzielen, weil niemand mit ihr rechnet, da doch Waffentragen im Pomerium nicht zum Kulturmodus zählt, weil der Modus des Umgangs in der Zivilisation ein ganz anderer, friedlich-rücksichtsvoller ist. Das ist der Grund, warum jeder Attentäter zunächst sehr erfolgreich Chaos in die zivilisierte Ordnung bringen kann. Diesen Verletzungs- und Tötungserfolg hätte er freilich im offenen Kampf nicht. Dieser zeigt sich nämlich erst dann ausgetragen, wenn die Polizei eintrifft und ihn über den Haufen schießt.

Freilich kann und soll ein kluger Bürger, der die gegenwärtigen Zivilisationsbrüche beobachtet, bereits mit Waffen und Können auf solche Situationen vorbereitet sein. Aber die Meisten sind es, gerade in jenem Vertrauen auf die Kulturgepflogenheiten, natürlicherweise nicht. Die Masse wird hier nur Opfer sein können. Nicht weil sie schwach ist, sondern im Modus der Zivilisiertheit operiert – und der kluge Bürger würde es ebenfalls gern! Der Attentäter nutzt wie gesagt die Regeln der Befriedung aus und kann dadurch kurzzeitig Vorteile erlangen. Gerade weil die Gesellschaft diese Gefahr immer mehr alltäglich wittert, verroht sie selbst, weil sie zunehmend hinter jedem ihrer Mitglieder einen solchen Feind entdeckt sieht und sich entsprechend wappnen und Ressourcen darauf abstellen muß. Das ist der überspitzte Grund dafür, daß jedes Abweichen von der zivilisierten Norm – und sei es noch so unbedeutend – zur Zerstörung ebendieser Zivilisation führt.

Die Aggressivität im Straßenverkehr ist exakt ein solcher Zerstörer von Kultur. So wie jedes aggressive Auftreten zu Fuß die Gesellschaft verroht, so jedes aggressive Auftreten mit Kraftfahrzeugen: Lärmverursachung, Bedrängung, Bedrohung, Nötigung usw. sind allesamt nichtakzeptierte Verhaltensweisen – außer sie finden mit dem Kraftfahrzeug statt. Dabei ist die niedere Gesinnung exakt dieselbe.

Aber der Autoverkehr ist nicht nur eine solche über die Anonymität und Fluchtmöglichkeit eingeführte Rabauken-Atmosphäre in die Zustände der Hochkultur. Die Sache wird noch perfider. Denn diese temporär oder örtlich zugelassene, der Hochkultur fremde, nämlich feige Aggressivität wirkt über den so ermöglichten Aggressionsabbau hinaus noch lähmend gegen jede wirkliche, ernstliche Auseinandersetzung.

Denn es gibt ja ernsthaft gar keinen Grund für den Durchschnittsmenschen, schnell zu fahren. Denken Sie an Herrn Reichskanzler. Schon gar nicht, Andere deshalb auch noch zu belästigen und zu nötigen. Er tut es letztlich allein aus dem Vermögen heraus: Ich kann mich anderen überlegen machen, also tue ich es. Und das ist freilich nichts als eine Kompensation von eigentlicher Unterlegenheit. Eben noch vom Chef zusammengestaucht oder unzufrieden mit was weiß ich womit, aber jetzt, auf der Straße, reagiere ich mich – der eine offenkundiger, der andere subtiler – an den Übrigen ab.

Nun geht es mir gar nicht darum, diese primitive psychologische Reaktion zu verurteilen oder mich darüber lustig zu machen. Vielmehr will ich Ihnen bewußt machen, welche Folgen diese Triebabfuhr für wahre Auseinandersetzungen hat: eben eine Beschwichtigende. Es findet ein Abreagieren von aufgestautem Haß statt, der anderweitig nicht mehr ausgelebt wird. Nicht ganz zu unrecht wird die freie Fahrt in Deutschland mit dem Waffenbesitz in Amerika verglichen. Nur ist das Abreagieren im Verkehr – weil täglich öffentlich möglich – wesentlich effizienter zur Beruhigung des Volkes geeignet. Es ist im Grunde derselbe Vorgang, der auch bei nicht verfolgter Kriminalität (Sie ahnen jetzt, warum es dergleichen zunehmend gibt) zwar diese kleinere Aggression fördert, damit aber gleichzeitig jedes größere Aufbegehren, vor allem das gegen den Staat, die Revolution und echten Widerstand lahmlegt.

Lasse viele kleine Kriege zu, um den großen zu verhindern. Diese außenpolitische Strategie wird längst innenpolitisch genutzt – ob bewußt oder unbewußt. Erlaube kulturloses, ja kriminelles Handeln, um den großen Umsturz, das Anwachsen des allgemeinen Unmuts immer wieder über kleine Blitzableiter, über die sich der Durchschnittsbürger auslassen kann, zu neutralisieren. Wenn zugleich über die sogenannte Pendlerpauschale, also die über Steuern finanzierte Maximierung des täglichen Fahrweges, die scheinbare Notwendigkeit dieses täglichen Ablenkungsmanövers ewig aufrecht erhalten wird, so sind wir bei der perfekten Triebabfuhr angelangt, einem perfekten Hamsterad mit unerreichbar aufgehängter Möhre.

Und das hat nun Konsequenzen für den Kampf gegen wahre Rechtsbeschneidungen. Denn nur wer nach allen Regeln der Vernunft sich nichts zuschulden kommen läßt, nur der Aufrichtige also, kann mit voller Verve gegen jede auch noch so kleine wirklich ernsthafte Beschränkung und Nötigung des Staates aufbegehren, die an ihm verübt wird. Nur der Gewissensreine kann voller Überzeugung gegen das Unrecht kämpfen (natürlich ist Gewissen hier relativ). Wer aber im Grunde seines Herzens weiß, daß er Rechte eingeräumt bekommt, die er eigentlich nicht haben dürfte, wenn ihm also Straffreiheit versprochen wird, wo sie eigentlich nicht angemessen ist, der ist ständig erpreßbar. Das ist unser Zustand.

Muckt er an irgendeiner Stelle auf, die ihm nicht paßt, bei irgendeiner neuen Verschärfung der Katastrophe, die da Kulturverfall heißt, dann könnte ihm ja etwas weggenommen werden von dem Kuchen, an dem er tagtäglich nascht und der gar nicht ihm gehört. Oder heruntergebrochen auf den Stammtisch: Na wenigstens dürfen wir noch so schnell fahren wie wir wollen. So wie der einmal zum Spion Gewordene nie wieder aussteigen kann, weil er bereits so viel Dreck am Stecken hat, daß er mit jeder neuen Verschärfung der Kriminalität seiner Auftraggeber mitgehen muß, so wird der einmal dem Verfall nachgebende Bürger bei jeder weiteren Degeneration erpreßbar und also handlungsunfähig.

Es gibt nichts Sklavenhafteres als das, nichts Unmündigeres und naiver sich Duckendes als dieses Erpressungsopfer angeblicher Rechte zu sein. Und daher ist es auch nur konsequent, daß dieser falsche Bürger es ist, der letztlich Stück für Stück um jedes noch verbliebene Element der Kultur und Zivilisation – durch seinen eigenen unermüdlichen Einsatz gegen sich selbst – wird betrogen werden.

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11 Gedanken zu “Der unbeirrt kämpfende Aristokrat und die bußfertigen Verkehrsmassen

  1. pippen1234

    Der Zustand, den Herr Wangenheim hier an einer speziellen Symptomatik beschreibt, muss wohl erst in einer unhintergehbaren Katastrophe münden, um wieder den Nährboden für eine neue Zeit und Kultur freizumachen. Es bringt nichts jetzt dagegen anzukämpfen, da trifft man nur auf taube Ohren und halbe Kraft, man muss warten bis eine gewisse kritische Masse die Schmach und Schande und Not so fühlt, „dass das Faß überläuft“. Für den Einzelnen, für den Freigeist, bleibt nur, sich rar zu machen, sich um sich selbst und seine Nächsten zu kümmern und vielleicht die geistigen Grundlagen zu schaffen, die einst die Neuordnung leiten mögen. Aber der Gegner weiß das alles auch und deshalb liegt ihm nichts näher als die o.g. Masse möglichst noch und nöcher zu zerteilen und zu spalten, „divide et impera“ at its best. Das ist ein (natürlich nicht der einzige) Grund, warum die Eliten die Migration heute noch weiter aufrecht erhalten. Denn ein in sich zersplittertes Staatsvolk ist die beste Medizin für Ausbeutung (leider auf Kosten der Kultur). Das ist mein Eindruck.

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  2. Das Ruder herumreißen wird man sicher heute nicht. Aber deshalb jede Propaganda einzustellen, scheint mir doch eine zu depressive Gesinnung zu sein. Zumal man durchaus sonntags unterwegs sein kann und gelegentlich über längere Phasen vernünftige Autofahrer antrifft. Und auf leeren Straßen erübrigt sich ja ohnehin die ganze Frage. Dann ist man nur selbst verantwortlich und damit Herr über die Lage, womit in einem kleinen Abschnitt also doch bereits der Zustand herbeigeführt ist, den man im Ganzen zu schaffen vielleicht noch nicht hoffen darf. Die Passanten merken das jedoch sehr wohl und man spürt, daß es positiv aufgenommen wird. Ich sehe also keinen Grund zu einem duckenden Rückzug.

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  3. Pingback: Die Perversion des PS-Boomers und die Kulturzerstörung durch den automobilen Massenverkehr – Die Reisen des wunderlichen Herrn Wangenheim

  4. Aus ‚Die Seele des Staates‚ von Hans Domizlaff (1892 – 1971):

    In einem Staat ohne Ideologie sind alle Menschen, die sich noch eine bürgerliche Gewissenhaftigkeit bewahrt haben, den gewissenlosen Elementen derartig unterlegen, daß die innere Anständigkeit den Vorwurf der Dummheit erfährt. Es tritt eine gewaltige Umschichtung ein, die jeder an das Verbrecherische grenzenden Hemmungslosigkeit zu einem destruktiven Vorrang verhilft. Um diese verhängnisvolle Entwicklung einigermaßen aufzuhalten, bedarf es immer wieder neuer Gesetze, und trotzdem findet der herausgeforderte private Egoismus immer wieder neue Hintertüren, um straflos Vorteile auf Kosten der Gemeinschaftsinteressen zu erlangen. Auch in harmonischen Staatsgebilden gab es Verbrecher und Abenteurer, die gewissenlos jede vom Gesetz noch nicht erfaßte Situation auszunutzen versuchten, aber selbst wenn sie wegen Unzulänglichkeiten der Gesetze straffrei blieben, unterlagen sie doch sehr bald einer gesellschaftlichen Ächtung. Erst in einer Demokratie verflüchtigt sich die moralische Vorbildlichkeit der Beamten, Offiziere und der königlichen Kaufleute, so daß der Staat durch eine dauernde Vermehrung von Gesetzesparagraphen den Ausfall der moralischen Konventionen ersetzen muß, die ehemals von einem Gefühl der Anständigkeit für alle Vorkommnisse zuverlässig modelliert wurden.

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  5. Interessant. Gleichwohl ist dieser Gedanke spätestens bei Spengler angelegt, wenn er sagt, sobald etwas kodifiziert werden muß, was zuvor gefühlt wurde, hat die Zivilisation der Kultur eingesetzt.

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  6. E.

    Sehr geehrter Herr Wangenheim, vielen lieben Dank für Ihre zwei Artikel zum Thema.

    Wie kann man den aristokratischen Ansatz des Genusses an der „Langsamkeit“ auch im Beruf anwenden, gerade wenn man nicht in leitender Funktion ist? Ist das überhaupt möglich?

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  7. Spartaner

    Ich glaube, wer dafür plädiert, rücksichtslos zu tun, was immer man will, steht nicht ganz im Bezug zur Realität. Wie lange sollte das denn funktionieren? Sicher, mit dem Auto herumzukurven hat für den Fahrer erstmal keine negativen Konsequenzen, aber wenn das alle machen, wird, vielleicht erst über Generationen, die Welt eben auch für diese Leute weniger lebenswert.

    Wie Sie sagen: Der wahre Aristokrat sieht gar keinen Grund dazu, im Affenzahn durch die Lande zu jagen, also warum sollte er es tun? Weil er es kann? Das ist doch kein Selbstzweck!

    Man will ein friedliches, glückliches Leben für sich und seine Kinder, und dazu gehört nun auch mal ein gewisses Maß an zivilisierter Zurückhaltung. Nicht nur gegen andere, sondern auch gegen die Natur. Vernünftige Menschen wissen das und halten sich freiwillig zurück. Auch im Eigeninteresse.

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  8. @E. Ich höre bei Ihnen ein wenig die Frage heraus, wie man die Arbeit durch Langsamkeit zum Genuß werden läßt. Allerdings ist das vermutlich nicht der Sinn der Arbeit. Es ist aber jener Genuß des Fahrens auch etwas vielschichtiger gemeint, als es vielleicht zunächst klingt. Insofern sticht Ihre Frage in eine wichtige Präzisierung hinein.

    Denn der Genuß von Landschaft, Architektur usw. ist ja nicht bloß ein Auf-sich-einrieseln-Lassen, sondern fordert aktive Wahrnehmung. Die meisten fahren ja selbst wenn sie ganz allein auf der Straße sind (normal-)schnell, weil sie sich sonst langweilen. Und zwar weil sie gegen ihre Umwelt gleichgültig sind, sie sind im Grunde desinteressiert. Und für einen bewußten Genuß – so war der Begriff hier gemeint – ist Interesse nötig, so wie man drgl. braucht, um eine Kunstausstellung genießen zu können. Man hat also seine Wahrnehmung zu schärfen, um Freude am Kleinen, Unbeachteten zu finden. Jeder Blick sucht, jede Parallaxenverschiebung von Bäumen, Wiesen und Bergen im Blick zur Seite, jeder Fachwerkgiebel und seine Besonderheiten, jedes Gasthofschild, jede Hecke, jeder Weg, der sich an den Hängen schlängelt, jeder ungewöhnliche Passant usw. wird verfolgt und verstanden. Alles lädt ein, bald jede Kirche ermutigt zum Anhalten, jeder Berg zum Ersteigen. Sie sehen, das ist alles kein passiver Genuß des Nichtstuns, sondern erfordert Interesse, Anstrengung, geistige Teilnahme und manchmal körperliche im höchsten Sinne.

    Die Äquivalenz zur täglichen Arbeit wäre dann die Präzisierung der Arbeit, ein genaueres, bewußteres, feineres Arbeiten, statt taktartig-schnellem Abspulen. Für den Handwerker ist das einfach übersetzt: höhere Qualität durch genaueres Beobachten, höheres Interesse an der Perfektion. Ich sehe allerdings nicht jeden Beruf in der Lage, daß sich drgl. sinnvoll anwenden läßt.

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  9. @Spartaner Ich fürchte, Sie haben meine Ausführungen als Plädoyer gegen den außergewöhnlichen Raser verstanden. Das ist aber nicht der Fall – und ich sage es auch an vielen Stellen. Es ist ein Plädoyer gegen 98% des Massenverkehrs.

    Denn Ihre Argumentation „wenn das alle machen“ ist insofern wirkungslos, als es ja tatsächlich alle machen. Bis auf die geschätzten Einzelfälle jener 2%.

    Und wenn es so wäre, wie Sie schreiben, daß es im Eigeninteresse läge, dann würde ja der Massenverkehr nicht so aussehen, wie er es tut. Im Eigeninteresse ist es eben nicht, angemessen zu fahren. Es bedarf des höheren Zwangs der Kultur. Denn wenn man die Feinheiten des Reisens und der Kultur nicht schätzt, dann ist es durchaus im Eigeninteresse so zu fahren wie die Mehrheit fährt – sie akzeptiert ja auch alle kulturlosen Folgen dieses Tuns. Insofern ist die Selbstverständlichkeit, die Sie suggerieren, nicht vorhanden.

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  10. Spartaner

    Sehr geehrter Herr Wangenheim,

    ich widerspreche Ihnen nur ungern, aber Ihrer Antwort liegt die Implikation zugrunde, ich ginge davon aus, der Massenmensch könne abschätzen, was in seinem eigenen Interesse ist. Das tue ich gerade nicht.

    Ich habe den Eindruck, die Leute spüren sehr wohl, daß diese Welt nicht mehr ihre Eigeninteressen befriedigt, sind aber unfähig, das mit ihrem privaten Fehlverhalten in Verbindung zu bringen.

    Ich glaube, daß auch diese Leute die Feinheiten des Reisens und der Kultur irgendwo, ganz unbewußt, vermissen, aber schlicht nicht weit genug denken können, um zu erkennen, woran das liegt. Und deshalb machen sie lustig weiter in ihrem selbstschädigenden Verhalten, was die negativen Effekte auf größeren Zeitskalen noch weiter verstärkt. Wie Kinder, die Süßigkeiten in sich hineinschaufeln als gäbe es kein Morgen.

    Die mangelnde Selbstkontrolle macht immer mehr staatliche Kontrolle nötig, bis wir im Mikroautoritarismus landen, der einem dann sogar noch vorschreibt, an dem Fußgänger mit höflichem Lächeln vorüberzubrettern, damit dieser weiß, daß die Belästigung nicht böse gemeint war. Weil niemand mit dem Holzhammer kam und sagte: 60km/h und nicht mehr!

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