Der Verfall der Naturwissenschaft (zur 2. Auflage von „Kultur und Ingenium“ – Teil 2: Kapitel „Form und Zahl“)

Zum Youtube-Video: https://youtu.be/GXnblcjajwI

Eigentlich wollte ich heute lediglich den zweiten Vortrag zur neuen Auflage von „Kultur und Ingenium“ halten, die von einigen Monaten neu erschienen ist, habe aber die Gelegenheit genutzt, etwas umfassender vom Niedergang der Naturwissenschaft zu sprechen. Das bot sich freilich im Zusammenhang mit dem sowieso anstehenden Mathematik-Kapitel an. Es war mir aber wichtig angesichts der sonst ausschließlich auf die Geisteswissenschaften angewandten Kritik an der heutigen Wissenschaft einmal das große Problem des Verlustes wissenschaftlichen Denkens auch in der Mathematik und Physik zu Besprechen. Denn gerade dort erwartet man es am allerwenigsten und ist letztlich von wesentlich bedrohlicherer Art: Wenn hier die Logik verfällt, dann braucht man sich über vollkommene Unfähigkeit zur Logik an anderer Stelle des wissenschaftlichen Spektrums nicht mehr wundern.

Gleichwohl spreche ich natürlich hauptsächlich von den Falttafeln in KuI und inhaltlich sowie strukturellen Fragen innerhalb des Kapitels „Form und Zahl“.

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9 Gedanken zu “Der Verfall der Naturwissenschaft (zur 2. Auflage von „Kultur und Ingenium“ – Teil 2: Kapitel „Form und Zahl“)

  1. Dr. Caligari

    Sehr geehrter Herr Wangenheim,

    zu Ihren Vortrag zwei Anmerkungen, die aber auch gut weggelassen hätten werden können:
    1.) Ich habe noch gelernt, dass die antiken Denker zwei Methoden in der Mathematik gab.
    Die Analysis („Auflösung“), die durch Zerlegung eines Problems versucht schrittweise neue Erkenntnisse zu gewinne und die
    Synthesis, in welcher die Erkenntnisse geordnet werden.

    Deshalb bezeichnet man die Infinitimalrechnung auch als Analysis. Newton hat sich sogar explizit abgewandt und wollte ein synthetisches Werk erschaffen, wobei er bei der Principa gelandet ist, die die Physik auf die bekannten drei Axiome zurückführte.
    Das eine ist also problemorientierung, das andere der logische Bau.

    2.) Was zitieren angeht, so scheint mir das in den Geisteswissenschaften durchaus legitim, in den Naturwissenschaften jedoch nicht unbedingt. Dort sollte der Nachvollzug durch Logik und Experiment im Vordergrund stehen.
    Wir wisse ja aber beide, woher der Fetisch auf Zitate kommt: Da sich Zitierungen leichter quantifizieren lassen, wird einfach die Anzahl der Zitate gezählt, um die Bedeutung eines Werkes zu ermitteln.

    Der Vergleich zwischen z. B. einen Historiker und einen Mathematiker muss nicht immer direkt zugunsten des letztere ausgehen.

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  2. Das ist der entscheidende Punkt: „Quantifizierung“ der Leistung – gerade auch in der Ausbildung. Daher Rechenaufgaben statt Verständnisaufgaben, daher multiple choice statt Textaufgaben. Genauso ist es.

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  3. Max

    Sehr geehrter Herr Wangenheim,

    da Sie im Video die Möglichkeit der genetischen Verschlechterung der Bevölkerung erwähnt haben, möchte ich eine hinzufügen, daß die Intelligenzverteilung stark exponentiell ist. Ein Rückgang von nur drei IQ-Punkten bedeutet beispielsweise, daß sich die Anzahl derer mit einem IQ von 150 und höher mehr als halbiert. Daraus folgt, daß der Anteil der Genies stark abnimmt, während sich in der Masse noch wenig verändert hat, ja vielleicht sogar noch ein gegenteiliger Effekt durch bessere Schulausbildung stattgefunden hat.

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  4. Das erscheint mir allerdings sehr fraglich. Es ist ja nicht so, daß wir eine 3-IQ-Punkte Verschiebung der Glockenkurve messen und dann daraus schließen, wieviele 150er es noch gibt, sondern wir messen eine Masse an IQ und schließen dann auf die Glockenkurve (die je nach diesen Meßwerten breiter, schmaler assymmetrisch oder sonstwie ausfällt).

    Aber wenn es eine Glockenkurve ist, dann ist sie nicht exponentiell, sondern asymptotischer Natur. Und das bedeutet im Gegenteil, daß die zahlenmäßig größten Anteilsverluste bei jenen IQ-Werten entsteht, an denen die Glockenkurve am steilsten ist, also großer Zuwachs bei 85 und großer Verlust bei 115 z.B. Weiter oben (und unten) wirkt sich aber eine Verschiebung der Glockenkurve nach links auf die verbleibende Höhe der Kurve kaum aus, weil sie dort sehr flach ist.

    Aber auch das ist eine ganz theoretische Betrachtung, weil vielmehr zu fragen ist, ob in einer durchschnittlich immer dümmeren Gesellschaft noch der Nährboden für Hochintelligenz vorhanden ist – oder andererseits durch Isolation vom Rest sogar verstärkt wird. Aber das traue ich mir nicht zu, es beurteilen zu können.

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  5. Max

    Sehr geehrter Herr Wangenheim,

    die IQ-Skala hat definitionsgemäß eine Standardabweichung von 15. Wenn wir beispielsweise Deutschland (IQ 100) und Italien (IQ 97) vergleichen kann man in Deutschland von 430 pro Million Menschen mit einem IQ von 150 oder darüber ausgehen, in Italien nur von 210. Das ist eine Reduktion von ca. 51%. Zwischen den Werten 150 und 160 ergibt sich eine Reduktion von ca. 50% (Wobei die Werte bei 160 so gering sind, daß die Genauigkeit nachläßt). Betrachten wir einen IQ zwischen 100 und 110 ergibt sich eine Reduktion von ca. 8%, in Italien gegenüber Deutschland. Bei einem IQ zwischen 110 und 120 liegt ein Abfall von ca. 19% vor. Absolut ändert sich selbstverständlich die Anzahl, nahe dem Mittelwert weit mehr, weil sich viel mehr Personen dort befinden. Relativ gesehen finden jedoch in den Randbereichen größere Veränderungen statt.
    Ich bin mir sicher, daß zu einem Genie mehr gehört als ein hoher IQ-Wert. Meine Aussage aus dem vorigen Kommentar ist, daß bei abnehmender Intelligenz zunächst der Fortschritt in Wissenschaft und Technik massiv abnimmt, während der Wohlstand noch eine Zeit lang erhalten bleiben kann, beziehungsweise aufgrund anderer Effekte sogar noch steigen kann. Dazu zählt zum Beispiel die Akkumulation von Kapital, sowie die zweckmäßige Ausbildung der Massen.
    Ihre Frage ob Hochintelligente andere ihrer Art, zum eigenen Gedeihen, brauchen ist interessant und auch ich weiß keine Antwort darauf.

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  6. Das ist die Frage, ob hier rein prozentual zu rechnen ist, wie Sie es fordern, oder ob die absolute Zahl entscheidend ist. Sie haben nebenbei meine Aussage auch falsch wiedergegeben: Es geht nicht um die Spitze bei 100, sondern um den Teil des größten Anstiegs der Gaußkurve.

    Wenn die Kurve (ganz theoretisch ohne jede Formveränderung) um 3 Punkte nach links verschoben wird, dann haben wir mit einem Mal die größten absoluten Verluste bei um die 115 (nicht 100, dort passiert fast nichts), die größten Prozentualen, je höher der IQ wächst. Wenn man nun sagte: Zum Bestehen einer Gesellschaft von 100 Mio. auf einem Hochindustrieniveau benötigt man 100.000 Ingenieure mit IQ:120, so könnte es sein, daß durch die kleine Verschiebung hier plötzlich so viele Leute fehlen, daß ein sofortiger Lebensqualitätsverlust durch Zusammenbruch der notwendigsten Ingenieursarbeit eintritt, während sich die prozentual höheren Verluste der IQ:130+ erst einmal gar nicht auswirken.

    Langfristig ist das natürlich dann der größere Einschnitt, was den „Fortschritt“ angeht. Aber haltbar wäre der Lebensstandard auch mit den 120ern. Das ist also nicht ausgemacht, welcher Verlust zunächst der schlimmere ist. Vielleicht ist auch viel schlimmer, daß am unteren Ende plötzlich die unter 85er signifikant werden und Menschen auf der Straße abstechen. Dann fliehen plötzlich die 115+ ins Ausland usw.

    Und dann ist ja überhaupt die Frage, wie die Verteilung wirklich aussieht – wir messen ja, wie ich oben schon sagte, keine Gauß-Kurve, sondern passen eine solche an die Meßkurve an. Wie genau die Meßwerte einer Gaußkurve entsprechen, das weiß ich – um ehrlich zu sein – gar nicht.

    Sie haben natürlich im allgemeinen damit recht, daß die sehr hohen Intelligenzen in jeder Hinsicht die zartesten Pflänzchen sind: im prozentualen Auftreten, in dem notwendigen, hohen durchschnittlichen IQ der Gesellschaft, die sie hervorbringen soll, in der Fluchtfähigkeit derselben usw.

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  7. Epocha Paralipomena

    {Verstand & Genie}

    „Wiederholen kann jener für sich, er kann es verbessern,
    Neue Naturen pflanzt in die Natur das Genie.“

    {Genialität}

    „Gutes aus Gutem das kann jedweder verständige bilden,
    Aber der Genius ruft Gutes aus Schlechtem hervor.“

    (Xenien von Goethe & Schiller – Juli 1796)

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  8. Thomas Beck

    Werter Herr Wangenheim

    Gestatten Sie mir eine Frage zu Ihrem Beitrag vom 9. Dezember 2022 um 09:51 :

    In Politik und Medien wird replacement migration als die Wunderwaffe gegen den sog. demografischen Wandel gefeiert. Ist in der Gesellschaft nicht genau die erwähnte Wechselwirkung von 85-/115+ schon Realität? Abwanderung von Menschen und Ressourcen aus D ist seit dem Jahre 2000 besonders offenkundig.

    Ihnen schöne Festtage.

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  9. Aber selbstverständlich, Herr Beck, läuft das bereits, und zwar seit nunmehr Jahrzehnten. Seit den 90er-Jahren wanderten zunächst 100-150.000 Deutsche aus (von denen die wenigsten eingebürgerte Ausländer gewesen sein dürften), also Hochqualifizierte, die woanders auf der Welt bessere Lebensbedingungen sahen. Seit 2015 dann eine schlagartige Erhöhung dieser Zahlen (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76972/umfrage/zahl-der-auswanderer-aus-deutschland/) auf 220-280.000, also eine Verdopplung. Offensichtlich, daß das für viele der Startschuß war, die sich bis dahin nur latent mit der Möglichkeit befaßt hatten.

    Auch ich wünsche Ihnen Frohe Weihnachten!

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